Cord 810/812 1936 – 1937

Cord 810 / 812  1936-37

Lost Illusions

Niemals zuvor gab es in den USA ein derart revolutionäres Auto wie den sagenhaften Cord. Doch diese Autos, die auf der Traumwagen-Galerie ganz oben stehen, lebten nur zwei kurze Jahre.

Vorab: Ein Cord ist uns quasi zugeflogen. Den wir sogleich spontan und noch auf dem Trailer mit Laptop in einem Video verarbeitet haben. Otto erklärt hier so Einiges und führt ein Interview mit dem Oldtimer- und Cadillac-Händler Ulli Müller aus Hachenburg:

 

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Als Erret Lobban Cord 1926 vom Gebrauchtwagenhändler zum Präsidenten der in Indiana beheimateten Marke Auburn aufgestiegen war, stürzte er sich mit unglaublicher Energie in seine Aufgabe, kaufte Anfang der 30er Jahre die Luxusmarke Duesenberg sowie den Taxi-Produzenten Checker und inhalierte mit Bankenhilfe eine Menge anderer Unternehmen, so auch das Lycoming Motorenwerk.

Um die Lücke zwischen den soliden Auburns und den sündhaft teuren Duesenbergs zu schließen, gab er die Konstruktion eines neuen Modells in Auftrag, das 1929 unter seinem Namen, nämlich als Cord L-29 vorgestellt wurde. Der geradezu sensationelle Fronttriebler mit immensem Radstand und 4,7 Liter Reihen-Achtzylinder trug eine der längsten Hauben der Automobilgeschichte, war aber zu schwer, hatte Kinderkrankheiten und fiel genau in die Weltwirtschaftskrise. Anfang 1932 war damit nach immerhin 4.400 Stück Schluss. Doch das Jahr 1929 brachte unter Cords Ägide noch zwei weitere Klassiker hervor: den Auburn Speedster und den berühmten Duesenberg Model J.

Baby Duesenberg

Knapp ein Jahr später wurde die Idee eines Zwischenmodells wieder aufgegriffen. Gehörten schon die 8- und 12-Zylinder-Auburns zur Spitzenklasse, so gab es doch noch einen gehörigen Preisunterschied zu den handgearbeiteten Duesenbergs. Dessen Präsident Harold Ames wandte sich an seinen ehemaligen blutjungen Designer Gordon Miller Buehrig, der mittlerweile zu General Motors abgewandert war. Als ”Baby Duesenberg“ sollte auf modifizierter Auburn-Basis eine formal wegweisende Konstruktion entstehen. Buehrig, Phil Derham und August Duesenberg (geboren in Lippe-Detmold) stellten daraufhin einen überaus futuristischen Prototyp mit zwei außenliegenden seitlichen Kühlern auf die Beine. Doch 1934 fiel Auburn in die roten Zahlen. Buehrig und Duesenberg wurden abkommandiert, die Autos technisch und optisch zu überarbeiten, was hervorragend gelang.

Noch im selben Jahr wurde die Arbeit am ”Baby“ wieder aufgenommen. Buehrig bekam die Chance, nahezu alleinverantwortlich ein Auto nach seinen Wünschen zu konstruieren. Dazu holte er Dale Cosper, Dick Robertson und Paul Laurenzen. Das Ergebnis war noch weitaus sensationeller, als seinerzeit der Cord L-29: Mit einer selbsttragenden Karosserie versehen, war eine strömungsgünstige, äußerst flache Limousine ohne Trittbretter entstanden. Ein vorderer Hilfsrahmen trug die Frontantriebseinheit mit einem neuentwickelten, aber immer noch seitengesteuerten 288,6 ci/4,7 Liter Lycoming V8 mit davorliegendem Getriebe. Der Unterschied zum kopflastigen L-29 bestand vor allem darin, dass der V8 des 810 hinter der Vorderachse, das Getriebe aber davor angesiedelt war und nun eine bessere Gewichtsverteilung brachte. Vorn federten eine einzige Querblattfeder, hinten herkömmlich zwei halbelliptische Blattfedern.

Ein ganzer Katalog mit bisher nie gekannten Details wurde an diesem Auto verwirklicht, das Ende 1935 nicht als Duesenberg, sondern als Cord 810 vorgestellt und bei Auburn in Connersville gebaut wurde. Ungewöhnlich die zwei großen und eingearbeiteten (!) Rücklichter, zur Bremskühlung gelochte Radkappen, die die komplette Felge bedeckten, sowie ein Viergang-Getriebe mit elektromagnetisch zu bedienender Schaltung von Bendix. Mit einem kleinen Hebel, der aus der Lenksäule ragte, wählte man den Gang vor, trat die Kupplung, und schon legte sich der gewählte Gang ein. Diese sogenannten Vorwahlgetriebe sind in der Autowelt übrigens von Cotal und Wilson aus Frankreich bekannt geworden. Weitere Cord-Features: ein Cockpit-ähnliches, perfekt ablesbares Instrumentarium in überdimensionierter “gekorkter”, blanker Aluminiumfläche. Neben Tachometer, Tankuhr und Temperaturanzeige gab es Drehzahl- und Öldruckmesser, Ölstandsanzeiger, Voltmeter, eine Zeituhr und eine ebenso gestylte Radioskala. Der Radio-Lautsprecher im Dachhimmel glich formal den hinteren Innenleuchten. Das Dreispeichen-Lenkrad fiel das erste Mal mit einem Hupenring auf. Wegen des Frontantriebs fand sich kein Kardantunnel, sodass der Wagenboden völlig eben war und damit mehr Beinfreiheit bot. Tankverschluss und Türscharniere waren verdeckt. Zu charakteristischen Details wurden jedoch vor allem die ”Sargnase “, also eine Schnauze ohne klassischen Kühlergrill, sondern mit horizontalen, umlaufenden Rippen sowie die mit jeweils einer Kurbel einzeln ausklappbaren Scheinwerfer. Statt der bisher üblichen Dachkonstruktion mit einem Dachinlet aus hölzernem Rahmen bot der Cord ein Ganzstahldach. Da man aber im Auburn-Werk über keine derart dimensionierten Blechpressen verfügte, die das Dach aus einem Teil herstellen konnten, wurde dieses aus sieben verschiedenen Teilen hergestellt und zusammengeschweißt. Auch General Motors sollte für 1936 ein solches Ganzmetall-Dach einführen, das von der GM-eigenen Karosseriefirma Fisher entwickelt worden war und dort auch – in einem Stück – produziert wurde.

Doch der Cord 810 war ein Meisterwerk! Nie zuvor hatte es ein Fahrzeug mit derart konsequent verwirklichten glatten Linien gegeben.

Star of the Shows!

Auf den großen Motorshows ab November 1935 war der Cord  d i e  Sensation! Was jedoch niemand wusste: Chaotische Zustände im Auburn-Werk und unter absolutem Zeitdruck hergestellte Prototypen hatten lediglich elf Show-Fahrzeuge fertigwerden lassen. Vor allem wegen der Getriebe war keines der Modelle fahrtüchtig! Vier verschiedene Varianten hatte E. L. Cord dem völlig überforderten Buehrig abverlangt: Zwei gleich große Sedans (Wetchester und der besser ausgestattete Beverly), sowie ein zwei- und ein viersitziges Convertible. Während das erste europäisch-vornehm ”Sportsman Cabriolet“ genannt wurde, hieß der Viersitzer ”Phaeton-Sedan“. Beide Fahrzeuge wiesen voll versenkbare Verdecke auf, die unter einer Blechabdeckung verschwanden. Auch das hatte es bis dato noch nicht gegeben.

Die offenen Cord gehörten von Anfang an zu den schönsten Fahrzeugen weltweit. ”The totally new interpretation of the function of a motorcar“, hieß es. Wohl wahr. Ein Verkaufserfolg indes waren sie keineswegs. Der Zeitdruck erlaubte praktisch keinerlei Erprobung. Die angespannte finanzielle Situation bei Auburn führte zu dramatischen Verzögerungen bei den Materialkäufen. Die Fertigstellung der Ausstellungsfahrzeuge war bereits ein kleines Wunder gewesen. Man hatte den ersten Auslieferungstermin für Weihnachten 1935 angekündigt, doch die ersten serienmäßigen Cord verließen erst am 15. Februar 1936 die Bänder. Bis dahin hatte man wartenden Kunden 1:32 Bronzemodelle auf Marmorsockeln zugeschickt. Auch das war immerhin eine Innovation.

Als die ersten Autos auf die Straße kamen, waren die Tester von Fahrkomfort und Straßenlage begeistert, bemängelten aber die schwergängige Lenkung – ein Tribut an den Frontantrieb. Und es stellten sich katastrophale Kinderkrankheiten ein: Die Motoren litten unter chronischer Überhitzung, die Achswellen machten schlimme Geräusche und das elektromagnetische Getriebe schaltete anfangs so, wie es gerade wollte! Für das anvisierte mittlere Luxuswagen-Preisfeld waren die Autos auch schlichtweg zu teuer! Zum Vergleich: ein Series 60 Cadillac von 1936 kostete 1.695 $ – ein Cord Wechester Sedan 1.995 $. Für einen Chevrolet musste man 1936 gerade mal 600 $ berappen. Nur wenige Cord gelangten nach Europa. Einige davon wurden von einem Händler in Paris mit der problemlosen Frontantriebs-Technik der Citroen Traction Avant bestückt.

Deep End!

Das Desaster war vorprogrammiert. Geld war nicht mehr vorhanden. Die letzten Auburns verließen im August 1936 das Werk. In fünf Monaten hatte man überdies nur 716 Cord herstellen können. Trotzdem hatte Cord für die 37er Cord Modelle eine Aufwertung gewagt. Die nun 812 getauften Fahrzeuge konnten nun allesamt wahlweise mit dem Schwitzer Cummins-Kompressor der Auburns ausgerüstet werden, der die 125 bhp Maschine auf 190 bhp aufblies! Damit hatte sich der Cord einen Platz unter den schnellsten Vorkriegsfahrzeugen gesichert. Tester erzielten eine Höchstgeschwindigkeit von 110 m/ph! Mercedes-like quollen chrom-ummantelte Auspuffrohre dekorativ aus der Motorhaube. Das Modellprogramm umfasste nach wie vor den Wetchester sowie den Beverly Sedan, das zweisitzige „Cabriolet“ und den viersitzigen Phaeton.

Zusätzlich waren nun zwei äußerst luxuriöse Sedans mit etwas höherer Dachlinie, verlängertem Radstand (132“ statt 125“) und formal durchaus gelungenem angesetzten Kofferraum im Angebot: Der Custom Beverly Sedan und der Custom Berline mit Separation und versenkbarer Trennscheibe. Diese beiden Versionen sind von vorn an den acht statt sieben umlaufenden Grillstreben erkennbar. Der Custom Berline kostete mit dem Supercharger 3.575 $ – ein adäquater Cadillac war rund 1.000 $ billiger, und das war verdammt viel Geld! Ein geplantes Hardtop Coupé auf Phaeton-Basis gab es in nur drei Exemplaren. Es ist bisweilen zu lesen, dass auch eine Sechs-Fenster-Variante des Custom Beverly geplant worden sei. Das aber ist nicht belegt. Wie auch immer – Auburn pries 1937 die Cord-Modelle in Anzeigen als perfekte Weiterentwicklung der 36er Modelle an. Doch die Pleite stand bereits in der Tür.

Als im August 1937 die Produktion von Cord und Duesenberg endgültig stoppte, waren gerade 2.320 Fahrzeuge hergestellt worden. Wie viele von den einzelnen Modellen produziert wurden, ist unbekannt. Vom Custom Beverly und Custom Berline mögen es nur sehr wenige gewesen sein. Gordon Buehrig hatte bereits im Sommer 1936 seinen Posten geräumt. Aus der Konkursmasse erwarb der Autohersteller Hupp Blechpressen und Werkzeuge für knappe 45.000 $ und benutzte die nun stark modifizierten Karossen für die Hupmobiles und Grahams bis 1940, doch auch dort blieben die Stückzahlen gering. Der große Traum des E. L. Cord war damit endgültig zu Ende.

Doch wichtige Meilensteine im Automobilbau müssen nicht unbedingt auch Verkaufserfolge sein. Wäre der Cord technisch ausgereift und vielleicht etwas preisgünstiger gewesen, wäre unsere Geschichte anders ausgegangen. Die größte Ehrung erfuhr diese wegweisende Konstruktion daher erst posthum: Als Exponat im Museum of Modern Art in New York.

Technische Daten:

Cord 810 (1936), Cord 812 und 812 Supercharged (1937)

Motor:

Lycoming V8. 288,64ci/4.729 ccm Hubraum, Bohrung/Hub 88,90×95,25mm, 8 Zylinder in V-Form (90°), seitlich stehende Ventile, Zylinderköpfe und Ventile aus Aluminium, 125 bhp bei 3.500 U/min, Verdichtung 6,5:1. 1 Stromberg Doppel-Vergaser.

812 Supercharged: wie oben, jedoch mit Schwitzer-Cummins Zentrifugal-Kompressor, 190 bhp bei 4.000 U/min.

Getriebe: 

Mechanisches Viergang-Getriebe mit Bendix ”Electric Hand“ Vakuum-Servo-Vorwahlgetriebe; Vorderradantrieb.

Aufbau und Fahrwerk:

Selbsttragende Ganzstahl-Karosserie mit vorderem Hilfsrahmen, unabhängige Vorderradaufhängung mit Längslenkern und Querblattfeder, hinten Starrachse mit Halbelliptk-Blattfedern. Vorn und hinten hydraulische Hebel-Stoßdämpfer. Reifen: 6.50-16

Maße:

Länge/Breite/Höhe: 496,5/180/147 cm

Radstand: 317cm, Gewicht: 1.760 kg (Sedan) ca. 1.900 kg (Cabrio)

Tankinhalt: 68 Liter

Modelle 812 Custom Beverly und Berline:

Länge: 514 cm; Radstand: 335 cm.

Preise 1936:

810 Wetchester Sedan: 1.995 $

810 Beverly Sedan: 2.095 $

810 Cabriolet: 2.145 $

810 Phaeton: 2.195 $

Preise 1937:

812 Wetchester Sedan: 2.445 $

812 Beverly Sedan: 2.545 $

812 Cabriolet: 2.595 $

812 Phaeton: 2.645

812 Custom Beverly Sedan: 2.960 $

812 Custom Berline: 3.060 $

812 Supercharged Wetchester Sedan: 2.860 $

812 Supercharged Beverly Sedan: 2.960 $

812 Supercharged Cabriolet: 3.010 $

812 Supercharged Phaeton: 3.060 $

812 Supercharged Custom Beverly Sedan: 3.375 $

812 Supercharged Custom Berline: 3.575 $

Stückzahlen:

810 Modelle 1936: 1.174

812 Modelle 1937: 1.146

Fotos:

Einer der schillerndsten Industrie-Magnaten seiner Zeit: Erret Lobban Cord – vom Gebrauchtwagenhändler zum Präsidenten von Auburn und zum Cover-Star des Time-Magazins

Er sollte das neue Design zeichnen: Gordon Miller-Buehrig – Bereits in jungen Jahren ein unglaubliches Talent 

Movie-Star! Ein ganz besonderer Cord wurde 1994 zum spektakulären Film-Auto! Im Hollywood-Streifen „The Shadow“ mit Alec Baldwin prescht eine Stretch-Version des 810 Wetchester Sedan – eine private Einzelanfertigung – als Taxicab mit drei Seitenfenstern und einteiliger, gewölbter Frontscheibe durch die regennasse Downtown. Ein unbedingt sehenswerter Phantasie-Reißer im besten Art-Deco-Comic-Stil. Deutscher Titel: „Shadow und der Fluch des Khan“.

Die Sargnase mit dem vertikalen Grill und den Schlafaugen waren im Jahre 1936 sensationell. Die 812 Supercharged Modelle erkannte man an den verchromten Auspuffrohren. Hier ein seltener `37er  812 Custom Beverly mit 8 statt 7 Kühlrippen. (Fotos: Carlos Kella´)

Auf dem Abstellgleis der Vergangenheit: nur 2.300 Exemplare entstanden von den Cord 810/812. Noch geringere Stückzahlen gab´s vom 812 Custom Beverly.

Eindrucksvolle Optik: extrem flache Karossen und völlig glatte Flanken.

Kaum sichtbar: Erhöhtes Dach bei 812 Custom Beverly und Custom Berline. Auch der angesetzte Kofferraum findet sich nur bei diesen beiden Modellen.

Auch 50er-Jahre-Koffer passen in den Kofferraum.

Werbung 1937: Sie ist jung – der Stil auch. Klasse Werbung im damaligen Stil der Zeit

Der gut situierte Herrenfahrer und das hübsche Girl (Bild oben): Passt erstens gut zusammen, beschreibt aber gleichzeitig zwei interessante Zielgruppen! Clever gemacht! (Cord Supercharged Werbung 1937)

Werbeleiters Meisterleistung: Der Cord ist so fahrsicher, dass man dieses schnellste Serienauto selbst seinem Sohn anvertraut!

Na klar, für die gut bezahlte Actrice ist der Cord das Traumauto!

Mit dem Frontantrieb prima durch den Schnee! Das ist ein echtes Argument! Beachte die Schneeketten an den Vorderrädern!

 

Nachfolgend Original-Prospekt von 1936 mit allen 810 Modellen:

Wetchester- und Beverly Sedan, Cabriolet 2-Seater, Phaeton 4-Seater:

Berühmtes Foto aus den 80er Jahren: Gordon Müller-Buehrig himself mit seinem Baby, einem 36er Cord Wetchester

 

Edel, aber nur Schwarz/Weiß: Original-Prospekt vom 37er Cord Custom Berline mit Trennscheibe: